EINE WINTERREISE.

1. BIENVENUE
Bienvenue zu meiner Winterreise 2022!
Ich freue mich, dass ihr euch auf diese Seite verirrt habt!
Hier berichte ich über meine Reise im Spätherbst und Winter 2022.
Was mal als Trip von Deutschland aus über Istanbul in Richtung Indien
geplant war, entwickelte sich plötzlich doch ganz anders.
In diesem Blog erhaltet ihr über Kurztexte und Fotos Einblicke
in meine Reise mit einem plötzlichen Protagonisten, dem laut
Drehbuch ursprünglich eigentlich nur eine Nebenrolle zugeschrieben war.
Viel Spaß damit 🙂
 
Hier sind Ausschnitte der Reise zu lesen.
Auf Basis von Interviews und Skizzen möchte ich irgendwann ein Manuskript erstellen.

2. INTRO
Was am Anfang noch ohne roten Faden begann, hatte sich wie ein Puzzle zusammengefügt.

Der Balkan – eigentlich nur mein Weg nach Istanbul, von wo aus meine Reise erst richtig losgehen sollte,
eigentlich nur ein Produkt meines Perfektionismus, doch direkt von Berlin aus mit dem Zug zu reisen,
anstatt erst mal ins Flugzeug zu steigen – wurde plötzlich von der Randfigur zum Protagonisten
meiner Reise. Osteuropa, höchstens im Sommer geeignet zum (auch nicht mehr) billigen Badeurlaub,
höchstens Kroatien, allerhöchstens die Landschaft der Herzegowina, seit neuestem die Küste Albaniens,
aber das Inland? Belgrad statt Paris? Sarajevo statt Barcelona? Und dann noch im Winter.
 
Doch der Balkan, auch wenn er zu Beginn nur leise angeklopft hatte, vertiefte sich ins Gespräch mit mir,
wie ein nur unzulänglich Bekannter, den man vielleicht zufällig im Supermarkt trifft,
hinter den ganz alltäglichen Dingen, neben den Angeboten, die man stets so überfliegt aber nie kauft,
und dann, plötzlich, wird das Gespräch doch länger als angenommen, man lacht und redet,
vergisst Zeit und all das Gemüse um sich herum, versteht sich doch besser als geahnt.
Lass uns doch Nummern tauschen. Hey, also eigentlich, eigentlich muss ich weiter. Und wir teilen
auch keinen Freundeskreis. Aber du lachst so schön. Die Tüte mit den Salzbrezeln, ganz unerwartet.
Der Neffe der Dame, der mich zum Hostel begleitet. Mein Sitznachbar im Restaurant, der mich
an seinen Tisch einlädt zum Bier. Mutter und Tochter, die noch Bürek zu Hause haben.
 
Die Vorstellung beginnt in einem Programm, das man gar nicht eingeschaltet hatte,
das man nur durchzappen wollte, zur eigentlich auserwählten abendfüllenden Unterhaltung.
Und alles spinnt sich weiter, in eine ungeahnte Richtung.
Auf meiner Reise sprach ich mit Menschen, die mir zufällig begegneten und erfuhr Geschichten
aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens.
So unterschiedlich die geographische Lage der Länder, so verschieden
die Perspektiven. Geschichten über damals, als alle noch Brüder und Schwestern waren,
über Grenzen, die es erst nicht gegeben hatte, die dann gezogen wurden, um schließlich
überrannt zu werden.
Geschichten von Krieg und von der Hoffnung auf Frieden, von Verachtung und Versöhnung,
über Verletzungen und Wünsche.
 
Und als ich den Balkan verließ, war meine Reise plötzlich zu Ende.
Viel früher als geplant. Denn mein Kopf war voll mit all den Eindrücken.
Berichten aus all den Ländern, von denen ich doch vorher fast nichts
gewusst hatte, vielleicht noch nicht mal den Namen ihrer Hauptstadt
hätte zuordnen können, obwohl sie Teil des selben Kontinents sind,
auf dem ich lebe.
 
 
3. BUDAPEST, UNGARN
„Ich unterrichte Tischfußball“, sagt Adam mit dem Antennenzöpfchen auf dem Kopf.
Er möchte eine Bar finden, wo keine „intelligenten Ungarn“ sitzen, die seinen Akzent bemerken könnten,
wenn er englisch spricht. Später sitzen wir über den Schachbrettern eines Kellerpub
und philosophieren über Europa.
Budapest glitzert, wenn die Sonne scheint und es glitzert noch,
wenn die Sonne längst untergegangen ist. Architektonisch fast Wien, doch die seltsam skurrile
Atmosphäre der heruntergerockten Altbauten verrät die wunderbare Ausgefallenheit
dieser Stadt.
Irgendwo zwischen kitschig glitzernden Schlössern und düsternen Altbauten,
Labyrinthen aus Ruinen und Lichterketten, Konzerten und schrägen Bildern,
zwischen konservativ und alternativ, majestätischen Cafés und den Gräbern der Donauschwaben,
irgendwo zwischen Buda & Pest.

4. LJUBLJANA, SLOWENIEN
Irgendwann wenn ich Renterin bin, werde ich noch ein paar Tage länger bleiben in dieser Stadt, die
obviously aus diesen kleinen Lebkuchenhäusern besteht, die man sich für gewöhnlich an
weihnachtlichen Tagen so zurecht baut. Auf dem 13. Stockwerk der Cocktailbar zündet der Kellner
den Gasofen an; das Gas scheint hier noch in rauen Mengen zu fließen, und ich soll ihm Bescheid
sagen, wenn’s knallt. Ich warne ihn, als der Aperol Spritz meine Synapsen zersprengt, doch der guy
von der Bar ist zusammen mit der Sonne längst untergegangen. Und für ein paar Minuten regnet es
noch etwas Zimt und Zucker, hier, auf dieser letzten Station vor dem Bruatlismus.

5. BELGRAD, SERBIEN
„My city is dying. But it’s beautiful, while its dying“ sagt Nicola. Dort drüben, hinter der Save, wo
sich die grauen Wohnblöcke bis zum Horizont erstrecken, findet der Rezeptionist mit den traurigen
Augen die Schlüssel zu Tito’s Zimmer nicht mehr. Er gräbt weiter zwischen goldenen Wänden und
weißem Marmor längst vergangener Zeiten, während sich drüben, am hippen Cevapcici Place der
Stadt diejenigen treffen, deren Kindheit in einem ganz anderen Land begann. Zwischen klassischem
Altbau und sozialistischem Beton wachsen Ruinen von TV-Sendern und des
Verteidigungsministeriums empor. Noch eine Tüte Popcorn und der Film kann beginnen.

Kannst du mir noch eine Geschichte erzählen, Belgrad? – Welche? Die, in welchen Ländern ich
bereits gelebt hab, obwohl ich nie umgezogen bin? Die von Goran, der seit Wochen vor dem
Parlament demonstriert weil er die Regierung nicht anerkennt? Die von Milan, der 1999 mit sieben
Jahren seine Mutter beschützte, als die Erde aufgrund der Einschläge bebte? Die von Yasminka, die
sich Jugoslawien zurückwünscht?“ Ich zieh noch eine Runde mit der ächzenden roten Tram durch
die Stadt, nur so zum Spaß, hier, wo so viel Ernst ist.

6. SARAJEVO, BOSNIEN-HERZEGOWINA
„’Why did you start the Filmfestival in the middle of the war?’, they asked us. So we answered:
‘Why the war started in the middle of our Filmfestival?’“ Srdjan kippt sich ein Dosenbier nach dem
anderen herunter, während wir in seinem Auto sitzen. Er erinnert sich gut daran, wie es war, in
dieser Stadt eingekesselt zu sein. Sarajevo. Dunkel entsinne ich mich an jenen Namen, der in
meiner Kindheit in dieser seltsam prekären Zeit zwischen 20:00 und 20:15 Uhr auf der anderen
Seite des Bildschirms fiel, wenn meine Welt inmitten von Erdbeereis und neverending Plüschtieren
kurz ins Wanken geriet.

Nach 27 Jahren noch immer überall Spuren. „Don’t judge the people here“, sagt Arna. Ihre 91
jährige Mutter ist eingewickelt in Wolldecken und malt nach Zahlen, sie spricht ein paar Worte
deutsch, denn für sie gab es nicht nur den Krieg in den Neunzigern. Im zweiten Weltkrieg
belagerten die Nazis ihr Haus. Arna kocht bosnischen Kaffee. Er darf nicht zu lange kochen, dass
sei unhöflich gegenüber den Gästen. Sie lebt in einem Land mit drei verschiedenen Regierungen,
mit einem der kompliziertesten politischen Systeme der Welt. Wenn sie frei hat, pflanzt sie Bäume.
Arna liebt ihre Stadt und ihre Augen leuchten, wenn sie von Sarajevo erzählt.

7. DUBROVNIK, KROATIEN
“non bene pro toto libertas venditur auro” –
“Für alles Geld in der Welt werden wir unsere Freiheit
nicht verkaufen” ist die Inschrift eine der Festungen der unfassbar gut erhaltenen Altstadt
von Dubrovnik, Kroatien.
Tja, wat soll frau da sagen?! Nice! <3

8. PRISTINA, KOSOWO
„Europe hasn’t allowed me to feel european, as much as we are geographically in Europe. The only
time I felt european, was when I went to Vietnam. But if I go to Germany or Great Britain, noone’s
gonna provide me that feeling, I’m just a filthy albanian.“
Gleich wird Arber die Bühne betreten, er wird sich eine blonde Perücke überziehen und
improvisieren, mit Synthies, mit Harmonien, mit Wörtern. Hinter ihm der Smog dieser rastlosen
Stadt , die soviel erlebt hat und soviel verarbeiten muss.

„Why?“ ist die Frage, die mir hier immer wieder gestellt wird. Nicht, wie lange ich bleibe, ob es mir
im Kosovo gefällt, wie das Essen schmeckt. „Why?“
Als in Katar die Schweiz gegen Serbien gewinnt, ist in Pristina der Kosovo kurz WM-Sieger. Drei
gebürtige Kosovo-Albaner in der Schweizer Mannschaft genügen, lassen die Autos noch lange
hupen, und die Tore hinter den Bildschirmen immer wieder fallen. Doch zwischen dem alten neuen
Krieg tobt die Jugend. Will das Vergangene vergessen, ist im Widerspruch gefangen, zwischen dem,
was noch nicht lange her ist und Heute, zwischen Verachtung und Versöhnung, zwischen
Nationalismus und dem Glauben an ein vereintes Europa. Und hinter den Bauzäunen, die Pristina
wie eine Stadtmauer umwinden, tanzt der Rave bis zum Morgengrauen.

9. SOFIA, BULGARIEN

Liebes Sofia, I am sorry for being so überladen mit Eindrücken und überhaupt, dass die Luft
draussen war. Ich hätte dich wirklich gerne kennengelernt, aber das einzige, was noch ging waren
traditionelle Gerichte in Holz-Restaurants und dazu etwas Glühwein, alles abzufotographieren nur
um damit meine eigene deadness zu übertuschen, die Motive: Metromülleimer, Grinsemann und
leere Schaufenster, ab und zu auch Kirchen mit drantapezierten Touribussen. Das Fotografieren an
sich ein schlichter Akt des Markieren; wie Hunde, die an jeden Baum pissen, wie ein paar
Menschen von der anderen Seite der Eiskugel, die jeden Pflasterstein der Münchner Innenstadt im
Pixelformat nach Hause tragen. Schade Sofia, am Ende reichte es nur für das Ticket nach Istanbul,
und das wird dir womöglich nicht gerecht, und so lassen wir die Platte noch etwas an, für den
nächsten Glühwein.

Fotos aus Sofia & Plovdiv.

10. ISTANBUL, TÜRKEI

Istanbul, du solltest das Highlight werden, aber auch hier legten sich die Steine in den Weg, wie
anderswo die Deutschen auf Handtücher. Doch wenn ich zurückblicke, zwischen all die Ibuprofen,
dann war da doch noch ein bisschen Märchen im Fiebertraum.
Schwarze-Teefahrt auf dem Bosporus, rufende Muezinne im Gegenwind, Lammsuppe und
am Ausgang der Moschee Hagia Sophia warten Jesus und seine Jünger. Entführt auf dem
ägyptischen Bazar Nr 7, denn Blutsverwandschaften helfen nicht gegen Tourifallen, kiloweise
Pistazien im Rachen, doch beim Aufwachen stets die Wallbrick, unser einziger Ausblick, neben dem
Safe to Go und ein paar entertainenden Rezeptionisten. Wir hätten das ganze am Worri in
Düsseldorf feiern können, auch da gibt’s Schwarzen Tee und Döner, doch wir wollten die Show am
Bosporus, its all about the money.
Wäre es wenigstens der Magendurchbruch in Indien, die Kollision mit einer Bergziegenherde in der
Mongolei oder der Untergang im georgischen Verkehr gewesen. Doch wir siechen ganz unkulturell
dahin, keine Seekrankheit, kein Astronautenabsturz. Auch die fragwürdige Fluggesellschaft trifft
ausnahmsweise die Landebahn.

11. OUTRO
Tschüss, sagt der Balkan und winkt mir noch eine Weile zu. Wir haben viel gequatscht und ich denke
noch nach, während alles an mir vorbeirauscht und ins Unkenntliche verschmilzt.
Die Betonblöcke von Belgrad hinter der Save mit den muslimischen Gräbern aus Sarajevo,
das Meer vor der Festung Dubrovniks überschwemmt die Bauzäune Pristinas und die Reste
des römischen Theaters von Plovdiv tauchen unter im Bosperus.
Dann steigen wir kichernd aus dem Flugzeug aus. Die Tavor knallen jetzt nach der Landung noch mal mehr,
wir schweben durch den Tunnel ins Flughafengebäude, nur urplötzlich gebremst von der Schwingtür,
die unmittelbar vor unseren in Beruhigungstabletten getränkten Augen zuknallt.
Aylin’s lautes Lachen. Daneben die Visage einer blonden Dame, die Haare streng gebunden, ihre Mundwinkel
zerlaufen irgendwo nach unten Richtung Laminat: „Ja meine Güte, einfach durchgehen!“, sagt sie tonlos.
Welcome Back.
Weihnachten kam unerwartet, so unerwartet wie für mich der Euro im Kosovo. Vielleicht Kinogutscheine?
„Wir hatten auch schon Themenabende,“ sagt der Mann am Telefonhörer.
„Zum Beispiel über das Glück. Wir fragten das Publikum nach den Filmvorführungen danach, was für sie Glück bedeute.
Die meisten gingen davon aus, dass Glück sich einstelle, wenn man irgendetwas erreicht habe im Leben.
Sich einen Traum erfüllt hat. Ein besonders toller Job. Oder eine schöne Partnerschaft. Aber wissen Sie,
was die Japaner sagen? Die Japaner sagen, dass Glück komme zu denen, die lachen.“
Infolgedessen muss das Glück irgendwo bei Aylin sein und an dieser Supermarktkasse in Istanbul,
wo wir Weizenkringel und Caprisonne aufs Band legen, wie zwei Teenies.
Und auch bei dem Verkäufer, der einfach die ganze Zeit mitlacht, ist wohl das Glück,
er verstand zwar kein deutsch, aber den Witz.
Ich denke an Yasminka, die, obwohl ich sie etwas morgenmuffelig gebeten hatte, mit mir im Bus Plätze zu tauschen,
mir schon einige Minuten später strahlend ein paar Salzbrezel anbietet.
Ich denke an Marco, der mir grinsend mitteilt, dass er eben aus dem Gefängnis entlassen wurde,
als wir in dem Cevapcici-Place zufällig nebeneinander sitzen. Ich denke an Arion, der mich sofort Willkommen heißt
und auf ein Getränk einlädt, als ich unbekannterweise ins Goethe-Institut rein stolpere.
An Azra, die mich spontan zu Börek und Cola in ihr Haus einlädt, obwohl ich sie nur nach der nächsten
Bushaltestelle gefragt hatte. An den Grenzbeamten vom Kosovo, der lange auf meinen Pass starrt, bevor er schließlich
lächelt und mich auf deutsch fragt, wo ich denn da genau wohne in Düsseldorf, um daraufhin festzustellen,
dass wir ja quasi Nachbarn waren. Wir quatschen noch ein bisschen und vergessen für ein paar Sekunden
die Schlange hinter mir. Doch die Schlange scheint uns auch zu vergessen und wartet geduldig
mit ihrem Pass in der Hand.
Dann ist da noch Arna, die mich mit in ihre Wohnung nimmt und bosnischen Kaffee zubereitet. Und ihre
Mutter, die nach Zahlen malt und mir auf Deutsch „Auf Wiedersehen!“ sagt.
 
Ich denk an all die Wärme, die ich während dieser Winterreise empfangen durfte. Und ja,
es weihnachtet gerade und vielleicht ist es kitschig. Und vielleicht hätte mir auch niemand am Telefon
die Pointe erklären müssen.
Aber als ich auflege, und noch ein Vanillekipferl esse, bin ich froh, in den letzten Wochen
mal wieder erfahren zu haben, warum die Nachrichten am Ende des Tages doch oft nur die halbe Wahrheit
erzählen. Und warum ein Lachen da draußen manchmal so viel mehr Wert ist, als all die Zusatzversicherungen,
die uns immer wieder für ein glückliches Leben verkauft werden.
 
Doch ich muss auch an all die traurigen Geschichten denken, die ich unterwegs erfahren habe.
An den ganzen Unmut, das Trauma, die Verletzungen, ja manchmal auch den Hass, der fast dreißig Jahre
nach den Balkan-Kriegen in dieser Region immer noch spürbar ist. Daran, dass genau das gerade
an einem anderen Ort alles wieder passiert, alles von neuem ausgelöst wird. Und an den Widerspruch,
der am Ende bleiben wird, bei all jenen, die diesen Schmerz erfahren müssen.
Der Wunsch nach Frieden, den die meisten trotz allem immer noch in sich tragen, doch der manchmal
gegenüber der Härte des Erlebten auch Jahrzehnte später nicht stark genug scheint,
um alles Geschehene vergessen und vergeben zu können.